Wann gilt eine E-Mail als zugegangen?


Von:  LIV BB / 07.03.2023 / 14:41


Unterbreitet ein Vertragspartner einem anderen Vertragspartner ein Angebot, so ist er an dieses Angebot gebunden, sofern er eine Bindung nicht ‒ etwa durch den Zusatz ,,freibleibend“ ‒ ausgeschlossen hat (§ 145 BGB).


Ist der Empfänger des Angebots abwesend, wird das Angebot in dem Zeitpunkt wirksam, in dem es ihm zugeht, es sei denn, dem Empfänger geht vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zu (§ 130 Abs. 1 Satz 2 BGB). Bisher ist noch nicht geklärt, zu welchem Zeitpunkt dem Vertragspartner im „unternehmerischen Geschäftsverkehr“ eine ihm gesandte E-Mail als zugegangen anzusehen ist.

Fall

Zwischen dem Auftraggeber (AG) und dem Auftragnehmer (AN) bestehen Meinungsverschiedenheiten über die Höhe der Schlussrechnungssumme. Am 14. Dezember 2018 um 9:19 Uhr erklärt der AN per E-Mail, dass sich seine noch offene Forderung aus der Schlussrechnung auf 14.374,23 Euro belaufe. Eine weitere Forderung werde nicht erhoben. Am gleichen Tag um 9:52 Uhr teilt der AN dem AG in einer weiteren E-Mail mit, dass eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe noch nicht erfolgt sei; die vorherige E-Mail müsse daher “unberücksichtigt“ bleiben. Der AG reagiert hierauf nicht, leistet jedoch eine Zahlung in Höhe von 14.374,23 Euro, die dem AN sieben Tage später gutgeschrieben wird.

War hier der Widerruf des Angebots noch rechtzeitig?

Die Entscheidung

Der BGH hat diese Frage mit Urteil vom 06.10.2022 ‒ Az.: VII ZR 895/21 ‒ verneint und ausgeführt: Die am 14. Dezember 2018 um 9:19 Uhr beim Auftraggeber zugegangene E-Mail war ein “wirksames Angebot auf Abschluss eines Vergleichs“. An dieses Vergleichsangebot war der Auftragnehmer gemäß § 145 BGB gebunden.

,,Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Moment zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich“.

Da das Vergleichsangebot des Auftragnehmers dem Auftraggeber um 9:19 Uhr abrufbereit zur Verfügung gestellt wurde, gilt es somit zu diesem Zeitpunkt als “zugegangen“. Der hier mit E-Mail vom 19. Dezember 2018 um 9:56 Uhr erklärte Widerruf des Vergleichsangebots war daher verspätet und deshalb nicht wirksam. Ein ‒ wie hier ‒ unter Abwesenden gemachtes Angebot muss vom Empfänger „bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf“ (§ 147 Abs. 2 BGB). Hier hat der Auftraggeber binnen 7 Tagen seit Zugang der Mail durch Zahlung das Angebot angenommen. Diese Annahmefrist wurde vom BGH als ausreichend und somit als wirksam angesehen. Somit ist der Abrechnungsvergleich zwischen beiden Vertragspartnern wirksam geschlossen worden. Deshalb kann der Auftragnehmer keine weitere Zahlung gegenüber dem Auftraggeber durchzusetzen.

Hinweise für die Praxis

Der BGH weist ausdrücklich darauf hin, dass mit dieser Entscheidung die Frage, wann eine Mail dem Empfänger als zugegangen gilt, „noch nicht umfassend entschieden“ worden ist. Es ist deshalb wohl davon auszugehen, dass eine derart ,,strenge“ Zugangsregelung nicht anzunehmen ist, wenn der Empfänger einer Mail kein “Unternehmer“, sondern beispielsweise ein “Verbraucher“ ist.

Quelle: Baurechtsreport

Autor:
Rechtsanwalt Dr. Hofmann,
Lehrbeauftragter für Baurecht, München


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